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Maria Laftsidis-Krüger: Vom Pontos in den Pott

  775 Wörter 3 Minuten 1.223 × gelesen
2018-12-12 2018-12-12 12.12.2018

Immer, wenn Maria am Donnerstagabend ihre Radiosendung zu moderieren beginnt, sehe ich vor meinem geistigen Auge wieder viele Griechenlandfreunde, Griechinnen und Griechen, Auswanderer und Migranten vor den heimischen Radios sitzen, die sich aus blechernen Weintöpfen einen Retsina einschütten und darauf warten, dass Maria auch wieder ein Rembetiko-Stück spielt. Der Rembetiko, der griechische Blues, ist die Musikrichtung, die auf die Flüchtlinge aus Kleinasien zurückgeht. Und von ihnen handelt auch das neue Buch von Maria Laftsidis-Krüger. 

‚Vom Pontos in den Pott‘ ist kein Buch über die griechische Musik, sondern vielmehr Zeitzeugnis eines historisch bedeutenden Ereignisses, das sich im 19. Jahrhundert rund um das Gebiet des Schwarzen Meeres und in Kleinasien ereignete. Laftsidis-Krüger skizziert die Familiengeschichte ihrer griechischen Vorfahren, beginnend bei ihrem Uropa Georgios aus Trapezunt am nordöstlichen Rande des Schwarzen Meeres, im Pontos-Gebiet. Skizziert ist dabei nicht einmal der richtige Ausdruck. Denn mit ihrer lebendigen, spielerischen, aber nie aufdringlichen Sprache malt Laftsidis-Krüger ein buntes Bild, das sich wunderbar konträr zu den in schwarz-weiß gehaltenen Buchdeckeln entfaltet. Auf gut 400 Seiten entsteht eine malerische Welt, voller Liebe und Freundschaft, aber gleichzeitig voller Hass und Feindschaft. 

Wie beim Öffnen einer randvollen Schatzkiste, wird der Leser von der ersten Seite an in den Bann der Goldstücke der Erinnerung gezogen. Und dabei ist das Buch tatsächlich keine leichte Kost. Vielmehr werden bereits auf den ersten Seiten Parallelen zu aktuellen Entwicklungen gespiegelt, deren hässliche Fratze sich schleichend auch in unsere alltägliche Gesellschaft zu zeichnen scheint. Das Heute wird zum Spiegelbild der Familiengeschichte der Autorin, die Mitte des 19. Jahrhunderts im Pontos beginnt. Es ist die Zeit, in der erste Vorzeichen andeuten, dass das friedliche Nebeneinander von Christen und Muslimen bald zu Ende gehen würde: „In alltäglichen Kleinigkeiten konnte man es spüren, diese unfassbare Fremdenfeindlichkeit. Sie war nun Fremde in ihrem Land. (...) aber sie konnte nicht verstehen, was der Auslöser war. Wo dieser Hass her kam.“ So wird die 80-Jährige Zaira aus Trapezunt zitiert.

Die Familiengeschichte nimmt in den folgenden Kapiteln durch die erhitzte Geschichte ebenso an Dramatik zu, wie der aufkeimende Fremdenhass. Osmanen und Griechen lebten plötzlich in ihrer einst gemeinsamen Welt mehr und mehr getrennt voneinander. Sie lernten es schon von Kindheit an. So entspinnt sich auch eine herzzerreißende Geschichte zweier Kinder, bei denen die erste Liebe und die enge Zuneigung durch den zunehmenden Hass zunichte gemacht wird. Lazaros, der Großvater der Autorin, und Laila, das junge Türkenmädchen aus der Nachbarschaft, dürfen nicht zusammenfinden. „So saßen die beiden auf der kleinen Holzbank vor dem Haus und verstanden nicht, was um sie herum geschah.“

1922 machen sich schließlich viele der Schwarzmeer-Griechen auf die Flucht. Lazaros flieht mit zahlreichen anderen in Richtung Thessaloniki. Mit dem letzten Schiff, das so treffend den Namen ‚Elpida‘ – ‚Hoffnung‘ trägt. Die Flüchtlinge vom Pontos finden in der neuen Heimat nur schwer Anschluss. Auch in Griechenland waren sie letztlich irgendwie Fremde, und dementsprechend waren die Lebensbedingungen alles andere als rosig im ohnehin nicht reichen Norden im Griechenland der damaligen Zeit. Und als sich später für viele Kinder der Pontos-Flüchtlinge neue Möglichkeiten ergaben, nahmen auch sie das ‚Schiff der Hoffnung‘, und sie stiegen in die Züge nach Deutschland. Lazaros‘ Kinder Georgios und Jannis kamen so als Gastarbeiter ins Ruhrgebiet. 1962 bekam Jannis, der jüngere der beiden Brüder, den heiß ersehnten Job auf der Zeche Hannibal in Bochum. 2 Jahre später wird er stolzer Vater der Autorin. Sein großer Bruder, der schon 1961 als Bergmann ins Ruhrgebiet gegangen war, hatte lange versucht, Jannis davon abzuhalten, in Deutschland anzuheuern. Letztlich vergeblich, obwohl die Gastarbeiter der ersten Generation ein hartes Leben führten. Eindrücklich schildert Laftsidis-Krüger auch den Alltag der Bergarbeiter aus Griechenland, die Maloche auf dem Pütt und die lang ersehnten freien Wochenenden, an denen sich schließlich ihre Eltern kennen lernten.

Für die Gastarbeiter beginnt ein neues Leben in der Ferne. „Es ist eine andere Welt. Ich will gar nicht sagen, dass sie schlechter ist als unsere. Wir kennen die Welt und das Leben anders, wir sind freier, glaub es mir“, versuchte Georgios seinem Bruder Jannis das Leben im Ruhrgebiet zu erklären. Und: „Sie leben hier mit Regeln, Verboten und Pflichten, da ist kein Platz dazwischen, verstehst du das? Wir Südländer, besonders wir freiheitsliebenden Griechen, scheitern in dieser Gesellschaft.“ Doch Jannis scheiterte nicht. Für ihn ist der Pott zur Heimat geworden. Denn: „Dieser zeichnete sich nicht nur durch den Dreck, das Pochen und die Monster aus Eisen aus, sondern eben auch, und dies ganz besonders, durch seine Menschen.“ 

Maria Laftsidis-Krüger hat ein beeindruckendes Buch vorgelegt, das eine Liebeserklärung an die Griechen, die Freundschaft und das Ruhrgebiet ist. 

Maria Laftsidis-Krüger
Vom Pontos in den Pott
Format: Taschenbuch
Seiten: 436, 2 Auflage
ISBN: 9783746714387